Ein stiller Rückzugsort: Schwedens kostenloser Waldaufenthalt mit einer ungewöhnlichen Regel
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In Südschweden bot ein einzigartiges Tourismus‑Experiment ausgewählten Teilnehmern einen kostenlosen Aufenthalt in einer Hütte – unter einer strikten Bedingung: Der Geräuschpegel durfte 45 Dezibel nicht überschreiten.
Wurde dieser Wert überschritten, war das Erlebnis sofort vorbei. Das vom Landkreis Skåne initiierte Projekt zielte darauf ab, das Bewusstsein für Lärmverschmutzung und den Wert natürlicher Stille zu schärfen.
Die „Stay Quiet“-Challenge

Im Oktober lancierte Visit Skåne seine „Stay Quiet“-Kampagne und rief Gäste dazu auf, dem modernen Alltagstrott zu entfliehen und sich in einer Waldhütte der Ruhe hinzugeben.
Dabei ging es nicht nur um Erholung – vielmehr war es ein Statement gegen die steigenden Umwelt‑ und Gesundheitskosten durch ständige Geräuschkulisse.
Warum Lärmverschmutzung zählt

Laut Projektleiterin Josefine Nordgren ist Lärm „eines der meistunterschätzten Umweltprobleme unserer Zeit“.
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Studien zeigen: Dauerhafte Lärmbelastung erhöht Stress, stört den Schlaf und wirkt sich negativ auf die physische wie psychische Gesundheit aus. Dem gegenüber stehen die regenerativen Effekte der Natur, die Körper und Geist zur Ruhe kommen lassen.
Stille als Luxus – und als Ressource

„Stille ist keine Leere, sondern eine Ressource“, so Nordgren.
In einer Welt, die von Produktivität und Reizüberflutung geprägt ist, rückte die Kampagne eine andere Form von Reichtum ins Zentrum: Ruhe, Frieden, das freie Sein.
Naturzugang für alle – auf schwedische Art

Ein Grund, warum dieses Projekt möglich wurde, ist das schwedische Recht auf freien Naturzugang – das Allemansrätten. Es erlaubt jedem, sich respektvoll in der Natur aufzuhalten, auch auf Privatgelände.
Dieses öffentliche Recht macht Stille und Einsamkeit in Schweden leichter zugänglich als in vielen anderen Ländern.
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Eine friedliche Auszeit für zwei Schwestern

Unter den wenigen Auserwählten war auch Johanna Holm, Lehramtsstudentin aus Süddeutschland. Gemeinsam mit ihrer Schwester bewarb sie sich – in der Hoffnung, dem Alltag zu entkommen, zur Natur zurückzufinden und einfach Zeit miteinander zu verbringen. Die Hütte hielt mehr, als sie erwartet hatten.
Leise sein war nicht schwer

Abgesehen von ein paar geflüsterten Gesprächen berichtete Holm, dass das Einhalten der 45‑Dezibel‑Grenze überraschend leichtfiel.
„Für uns war es in dieser friedvollen Natur einfach das einzig Richtige“, sagte sie. Gleichzeitig gestand sie: „Ich war so glücklich – ich hätte schreien können vor Freude, und jeder hätte es gehört.“
Abschalten, um wieder zu sich zu finden

An dem Wochenende kochten die Schwestern über offenem Feuer, erkundeten den Wald und bewunderten das Farbenspiel der Blätter. Die Hütte bot ruhige Beschäftigungen: Sie schrieben Briefe an ihr zukünftiges Ich. Ohne Bildschirme oder Geräusche genossen sie die Stille und die Einfachheit.
Um Mitternacht im Wald

Eines der eindrücklichsten Erlebnisse: der nächtliche Ausflug in den dunklen Wald – ohne Licht, nur mit Sinnen und Stille. „Es war voller Abenteuer und neuer Erfahrungen“, erzählte Holm. Der gesamte Aufenthalt wirkte auf sie zutiefst beruhigend und regenerierend
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Zur Ruhe kommen – und Klarheit finden

Allein die Stille ließ Holm innerlich zur Ruhe kommen – wie lange nicht mehr. „Ich fühlte mich so ausgeglichen und ruhig“, sagte sie. Dieses Gefühl der inneren Stärke begleitete sie lange nach dem Hüttenaufenthalt und ist etwas, das sie sich im Alltag bewahren möchte.
Es geht nicht nur um Stille – sondern um Bewusstsein

Nordgren machte klar: Das Ziel war nie absolute Geräuschlosigkeit, sondern Bewusstheit. „Es ging nicht darum, strikte Stille durchzusetzen, sondern Besucher dafür zu sensibilisieren, wie ihre eigenen Geräusche mit der Natur interagieren können.“ Es ging ums Zuhören – nicht nur auf die Welt, sondern auf sich selbst.
Holms Fazit: Stille mit nach Hause nehmen

Holm möchte den erlebten Frieden in ihren Alltag integrieren. „Ich fühlte mich unglaublich ruhig, glücklich, belebt und erfüllt“, sagte sie. Die Erfahrung habe sie inspiriert, für sich und ihre Liebsten ähnliche Räume zu finden und öfter Momente der Stille bewusst zuzulassen.
Stille als Stärke – nicht als Leere

„Stille hilft dir, deine innere Stimme zu hören“, reflektierte Holm. In einer immer lauter werdenden Welt erinnerte dieses nordische Experiment die Teilnehmer – und vielleicht uns alle – daran, dass Ruhe nicht nur beruhigend ist. Sie kann viel mehr sein: kraftvoll.