Mehrere EU-Staaten stehen inzwischen unter verschärfter Haushaltsaufsicht, weil ihre Defizite oder Schulden die zulässigen Grenzen überschreiten. Deutschland zählt trotz wachsender Warnsignale nicht dazu – noch. Die jüngsten Daten schaffen einen kleinen Puffer, den Berlin jedoch voraussichtlich nicht lange behalten wird.
Nach Angaben von Eurostat, über die die Tagesschau berichtet, überschritten 2024 zwölf EU-Länder das Dreiprozentlimit beim Defizit. Deutschland lag mit 2,7 % knapp darunter.
Das Dreiprozentlimit ist eine zentrale Regel des Stabilitäts- und Wachstumspakts der EU: Ein Mitgliedstaat darf ein jährliches Haushaltsdefizit von höchstens 3 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) haben. Ebenso gilt eine Obergrenze von 60 % des BIP für die Staatsverschuldung.
Werden diese Grenzen überschritten, prüft die EU‑Kommission, ob ein Defizitverfahren eingeleitet wird. Ziel ist es, die Haushaltsdisziplin zu sichern und die Stabilität der gemeinsamen Währung zu schützen.
Diese Schwelle ist entscheidend, denn erst ein bestätigtes Überschreiten der Grenze öffnet den Weg zu einem Defizitverfahren. Zurzeit sind neun EU-Länder im Verfahren (Belgien, Frankreich, Italien, Malta, Polen, Rumänien, die Slowakei, Ungarn und Österreich). Auch Finnland wird voraussichtlich bald hinzukommen.
Schwache Basis
Während andere Staaten wegen hoher Fehlbeträge direkt in ein EU-Verfahren geraten, hält Deutschland bislang die formale Linie ein. Dass diese Position wackelt, zeigt jedoch die von WELT zitierte Herbstprojektion der Bundesregierung.
Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) verwies auf ein Wachstum, das fast vollständig aus öffentlichen Ausgaben gespeist werde. „Ein erheblicher Teil des Wachstums … wird voraussichtlich aus hohen staatlichen Ausgaben stammen“, sagte sie.
Reiche betonte, dieser Schub verbessere die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit kaum. „Es ist kein Potenzialwachstum.“ Die Verantwortung für die schwache Ausgangslage tragen laut Stabilitätsrat vor allem niedrige Produktivitätsgewinne und fehlende Reformen.
Laut WELT erwartet das Gremium, dass die Schuldenquote bis 2029 von 62 % auf rund 80 % steigen könnte – ein Niveau, das Deutschland historisch nur in Ausnahmesituationen erreicht hat.
Warum Berlin trotzdem verschont bleibt
Dass Brüssel Deutschland nicht bereits jetzt auf die Liste der Defizitsünder setzt, liegt an den Bewertungsmechanismen der EU. Für ein Verfahren zählt das abgeschlossene Haushaltsjahr. Und in diesem liegt Deutschland mit 2,7 % weiterhin unter der Defizitgrenze.
Zudem lässt die EU gewisse Flexibilitäten zu, etwa bei Verteidigungsausgaben. Von solchen Spielräumen hat laut Yle zuletzt auch Finnland profitiert, bevor die Kommission nun doch ein Verfahren anstieß.
Damit entsteht für Berlin ein vorläufiger Puffer – getragen von Statistik, Übergangsregeln und der Erwartung, dass die Regierung die angekündigte Konsolidierung tatsächlich startet.
Blick nach Österreich
Österreich zeigt, wie ein EU-Eingriff Realität wird. Wie die Wiener Zeitung berichtet, überschritt das Land 2024 mit einem Defizit von 4,7 % sowie einer Schuldenquote von rund 85 % klar die EU-Grenzwerte.
Während des Verfahrens muss Wien regelmäßig berichten und aufzeigen, wie das Budget wieder unter die Dreiprozentmarke sinkt. Die EU schreibt dabei nur die Zielwerte fest; wie Österreich die Vorgaben erfüllt, bleibt nationale Entscheidung.
Laut MeinBezirk reagierten Bund und Länder mit einem neuen Stabilitätspakt, der strengere Datenmeldungen, mehr Transparenz und eine neue Aufteilung der Defizitspielräume vorsieht. Finanzminister Markus Marterbauer erklärte, man wolle das Verfahren bis 2028 hinter sich lassen – muss dafür aber einen klaren Konsolidierungspfad einhalten.
Für Deutschland gilt: Eine dauerhafte Unterschreitung der Grenze ist notwendig, um Brüssel fernzuhalten. Finanzminister Lars Klingbeil versprach laut WELT weitere Reformen und mehr Tempo beim Sparen. Reiche formulierte es in einem Satz: „Wir müssen kämpfen.“
Quellen: MeinBezirk, Tagesschau, Yle, WELT, Wiener Zeitung