Die Erzählung vom Verrat stammt aus einem Gespräch aus dem Jahr 1990.
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Seit Jahren warnt der russische Präsident Wladimir Putin seine Bürger vor der angeblichen Bedrohung durch die NATO – ein Militärbündnis, das, so behauptet er, darauf abziele, Russland einzukreisen oder gar zu überfallen.
Dieses Argument ist zu einem zentralen Bestandteil der Rechtfertigung des Kremls für den Krieg in der Ukraine geworden.
Weniger bekannt ist, dass Russland einst mit der NATO zusammenarbeitete. In den 1990er Jahren beteiligte es sich mit einer Brigade an NATO-geführten Friedensmissionen in Bosnien unter einem besonderen Kommandosystem; ein russischer General diente als Stellvertreter des SACEUR für das russische Kontingent – ein seltener Moment praktischer Zusammenarbeit.
Diese Hoffnung zerbrach innerhalb eines Jahrzehnts. 2007, auf der Münchner Sicherheitskonferenz, beschuldigte Putin den Westen öffentlich des Verrats.
Die Rede markierte einen Wendepunkt – den Moment, in dem Russlands lange schwelendes Misstrauen gegenüber der NATO zu einem bestimmenden Merkmal seiner Außenpolitik wurde.
Die „Not One Inch“-Debatte
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In seiner Münchner Rede warf Putin den Vereinigten Staaten und ihren Verbündeten vor, mündliche Zusagen gegenüber den sowjetischen Führern am Ende des Kalten Krieges gebrochen zu haben.
Westliche Politiker, so argumentierte er, hätten Moskau versichert, dass sich die NATO „keinen Zoll nach Osten“ ausdehnen würde – nur um später ehemalige Warschauer-Pakt-Staaten in das Bündnis aufzunehmen.
Diese Behauptung fand in Russland großen Anklang. Von Boris Jelzin bis zur heutigen Kreml-Elite wurde die Vorstellung westlicher Täuschung zu einem gemeinsamen Groll – einer, der prägte, wie Russland Europa und sein verlorenes Imperium sah.
Doch was genau war damals versprochen worden?
Das Gespräch von 1990, das alles auslöste
Historiker führen den Streit oft auf ein einziges Gespräch im Februar 1990 zwischen dem US-Außenminister James Baker und dem sowjetischen Staatschef Michail Gorbatschow zurück.
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Während der Gespräche über die deutsche Wiedervereinigung soll Baker gesagt haben, dass sich das Bündnis „keinen Zoll nach Osten“ bewegen werde, wenn Moskau einer vereinten, in der NATO verbleibenden Bundesrepublik zustimme.
Laut Mary Elise Sarottes preisgekröntem Buch Not One Inch: America, Russia, and the Making of the Cold War Stalemate bekam dieser Satz – gesprochen in einem sensiblen diplomatischen Kontext – später eine übergroße symbolische Bedeutung.
Gorbatschow verstand ihn als Beruhigung, nicht als vertragliche Verpflichtung. Doch in Moskaus Erinnerung wurde daraus ein Versprechen.
Am nächsten Tag schien Bundeskanzler Helmut Kohl Bakers Haltung zu wiederholen und sagte zu Gorbatschow, die NATO werde sich nicht auf das damalige Gebiet der DDR ausdehnen. Und im Mai desselben Jahres hielt NATO-Generalsekretär Manfred Wörner eine Rede, die andeutete, dass eine Erweiterung nicht geplant sei.
Doch Wörners Äußerungen waren politisch, nicht rechtlich bindend, und keine dieser Aussagen wurde schriftlich festgehalten. Für viele in Russland ergab sich daraus jedoch ein unausgesprochenes Verständnis – eines, das bald zerbrechen sollte.
Was steht tatsächlich im Vertrag?
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Als am 12. September 1990 das Zwei-plus-Vier-Abkommen unterzeichnet wurde, befasste es sich ausschließlich mit dem Status Deutschlands nach der Wiedervereinigung.
Artikel 6 bestätigte Deutschlands Recht, Bündnissen anzugehören, und dehnte den NATO-Schutzschirm auf das gesamte deutsche Territorium aus. Gleichzeitig untersagte er die Stationierung oder den Einsatz ausländischer (nicht-deutscher) Truppen und Atomwaffen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR.
Es gab keine Erwähnung anderer osteuropäischer Staaten, kein ausdrückliches Erweiterungsverbot und keine schriftliche Garantie.
Baker gab später zu, dass er sich „vielleicht etwas zu weit aus dem Fenster gelehnt“ habe.
Symbolisch jedoch war klar: Zum ersten Mal hatte sich der Sicherheitsgürtel der NATO ostwärts verschoben – in ein Gebiet, das noch ein Jahr zuvor unter sowjetischer Kontrolle gestanden hatte.
Von Unbehagen zu Anschuldigung
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In Moskau warnten viele Beamte Gorbatschow, er gebe zu viel preis.
Verteidigungsminister Dmitri Jasow suchte sogar mündliche Zusicherungen des damaligen britischen Premierministers John Major, dass sich die NATO nicht weiter nach Osten ausdehnen werde.
Major sagte laut dem zeitgenössischen Tagebuch des Botschafters Rodric Braithwaite vom 5. März 1991: „So etwas wird niemals geschehen.“
Es existierte jedoch kein schriftlicher Nachweis. Für die Russen fügte sich dies in ein Muster ein – beruhigende Worte des Westens, gefolgt von politischen Entscheidungen, die das Gegenteil signalisierten.
1993, unter Präsident Jelzin, verwandelte sich die Frustration in Protest. In einem Brief an US-Präsident Bill Clinton argumentierte Jelzin, dass eine NATO-Erweiterung den „Geist“ der Vereinbarung von 1990 verletze. Amerikanische Diplomaten nahmen den Brief ernst genug, um das Auswärtige Amt in Berlin um eine rechtliche Einschätzung zu bitten.
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Das deutsche Außenministerium kam zu dem Schluss, dass Jelzins Behauptung keine Grundlage im Vertragsrecht habe – räumte jedoch ein, man könne „verstehen, warum Russland sich getäuscht fühlte“.
Der Versuch eines Neuanfangs
Die Unterzeichnung der Grundakte über gegenseitige Beziehungen, Zusammenarbeit und Sicherheit war ein Versuch, das Verhältnis zu verbessern und Vertrauen aufzubauen.
Doch selbst während dieser Gespräche belebte der russische Außenminister Jewgeni Primakow alte Vorwürfe wieder auf, der Westen habe Moskau Jahre zuvor hintergangen.
US-Beamte überprüften den Vorwurf intern erneut und stellten fest, dass einige westliche Politiker 1990 zwar beruhigende Formulierungen verwendet hätten, diese jedoch keine formelle Zusage zum Verzicht auf eine Erweiterung darstellten.
Rechtlich war der Westen somit entlastet. Diplomatisch war der Schaden jedoch angerichtet.
Momente der Zusammenarbeit
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Trotz der Verbitterung gab es Anzeichen von Pragmatismus.
1993 überraschte Jelzin seine Berater, als er dem polnischen Präsidenten Lech Wałęsa sagte, Polen habe jedes Recht, eine NATO-Mitgliedschaft anzustreben – eine Bemerkung, die sein Umfeld fassungslos machte.
1997 unterzeichneten die NATO und Russland die Grundakte, in der die Rolle des Bündnisses im europäischen Sicherheitsrahmen offiziell anerkannt wurde.
Doch diese fragile Zusammenarbeit konnte das tiefsitzende Gefühl des Verrats nicht auslöschen. Für Putin und große Teile der russischen Elite wurde der Vormarsch der NATO nach Osten zum Beweis, dass die westliche Diplomatie auf Täuschung beruhe.
Die Wunde, die nie heilte
Heute, Jahrzehnte nach jenen frühen Zusicherungen und Dementis, bleibt die Frage bestehen: Gab es jemals ein Versprechen – oder nur eine Interpretation?
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Rechtlich gesehen, so Historiker wie Sarotte, nein – es existierte keine bindende Vereinbarung über einen Verzicht auf Erweiterung.
Emotional jedoch empfinden viele Russen – auch jene, die einst Partnerschaft mit dem Westen suchten – noch immer den Schmerz des Verrats.
Dieses Gefühl, mehr als die Fakten selbst, nährt Moskaus anhaltendes Misstrauen gegenüber der NATO.
Ob dieses Misstrauen jemals überwunden werden kann, bleibt ungewiss. Die Geschichte zeigt: Der Zusammenbruch von Vertrauen kann weitaus länger anhalten als der Moment, in dem es zerbrach.
Quellen
- The Guardian: „Did the West promise Moscow that NATO wouldn’t expand?“
- Mary Elise Sarotte, Not One Inch: America, Russia, and the Making of the Cold War Stalemate
- BBC, AP Archives
- National Security Archive
- Offizielle NATO-Texte
- German History Docs (Vertragstext)
- UPI
- Arms Control Association
- Kreml-Transkript
Dieser Artikel wurde von Jens Asbjørn Bogen erstellt und veröffentlicht, wobei möglicherweise KI für die Erstellung verwendet wurde