Startseite Politik Ukraine definiert Minderheitensprachen neu – Russisch fällt aus dem Schutz...

Ukraine definiert Minderheitensprachen neu – Russisch fällt aus dem Schutz heraus

Russia, Ukraine, flags
Shutterstock.com

Die Entscheidung ist juristisch formuliert, doch ihre Wirkung reicht tief in den Alltag hinein. In der Ukraine zeigt sich einmal mehr, wie eng Sprache, Politik und persönliche Identität miteinander verknüpft sind.

Gerade lesen andere

Für viele Ukrainer ist Russisch Teil ihres Lebens, unabhängig von Herkunft oder politischer Haltung. In Schulen, im Freundeskreis oder in sozialen Netzwerken wechseln viele selbstverständlich zwischen Sprachen.

Yle berichtet, dass besonders junge Menschen Russisch weiterhin intensiv nutzen, vor allem online. Gleichzeitig entsteht sozialer Druck: Alltagskontakte, etwa in Schulen oder online, richten sich häufiger nach der bevorzugten Sprache.

Ein parlamentarischer Schritt

Das ukrainische Parlament hat ein Gesetz beschlossen, das den staatlichen Schutz von Minderheitensprachen neu definiert. Russisch ist darin nicht mehr enthalten, ebenso wenig Moldauisch, das künftig nur noch als Rumänisch geführt wird.

Nach Angaben von n-tv bleiben zahlreiche andere Sprachen unter Schutz, darunter Polnisch, Ungarisch, Deutsch, Krimtatarisch und Hebräisch. Die Regierung begründet den Schritt mit der notwendigen Anpassung an die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen.

Wie taz berichtet, verweisen Befürworter darauf, dass bislang unterschiedliche und teils widersprüchliche Regelungen zum Minderheitenschutz galten, etwa bei der Benennung einzelner Sprachen.

Lesen Sie auch

Kritik aus der Wissenschaft

Die Debatte berührt auch andere europäische Staaten. Die Charta gilt als Schutzinstrument für bedrohte Sprachen, nicht für solche mit dominanter gesellschaftlicher Stellung.

In Kiew wird argumentiert, Russisch falle nicht mehr unter diesen Schutzgedanken. Zudem sei es politisch schwer vermittelbar, die Sprache eines Staates besonders zu schützen, der einen Angriffskrieg führt.

Die Anthropologin Anastasia Piliavsky kritisiert gegenüber taz, der Ausschluss des Russischen sei im europäischen Vergleich beispiellos: „In der EU gibt es kein einziges Land, in dem eine Gruppe von mehr als 10 Prozent der Bevölkerung keinen Schutz ihrer Sprachrechte genießt. In der Ukraine geht es um 50 Prozent und mehr.“

Sie sieht darin weniger Kulturpolitik als eine Belastung für den inneren Zusammenhalt. Sprache werde rechtlich neu sortiert, ohne die soziale Realität ausreichend zu berücksichtigen.

Offene Folgen

Die staatliche Sprachbeauftragte Olena Ivanovska sagte Radio Liberty, wie n-tv berichtet, viele Menschen seien nach anfänglicher Umstellung wieder zum Russischen zurückgekehrt. „Der Mensch kann nicht ständig unter solcher Anspannung stehen und sich selbst und sein Verhalten kontrollieren.“

Lesen Sie auch

Ob das Gesetz langfristig Integration fördert oder neue Trennlinien schafft, zeigt sich etwa im Klassenzimmer, in Kasernen oder in Online-Chats. Dort entscheidet sich, wie tragfähig diese Sprachpolitik ist.

Quellen: n-tv, taz, Yle