Während europäische Unternehmen mitten im digitalen Wandel stehen, entsteht ein neues Verständnis von Arbeit. Fachleute sehen die kommenden Jahrzehnte als Phase tiefgreifender Neuordnung – von Führungsstilen über Arbeitsorte bis hin zu den Erwartungen junger Menschen.
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Die Zukunft, sagen Expertinnen und Experten, werde weniger von Routinen geprägt sein und stärker von Entscheidungen darüber, wie Mensch und Maschine zusammenarbeiten.
Führung im Wandel
Nach Angaben mehrerer Arbeitsforscher:innen wird Führung künftig komplexer: Teams bestehen nicht nur aus Menschen, sondern auch aus KI-Agenten und möglicherweise Robotern. Geschäftsführerin des Beratungsunternehmens Moocon Sabine Zinke sagt dem Standard, Führungskräfte müssten stärker als Dienstleister agieren und Hindernisse aus dem Weg räumen.
Autorin Lena Marie Glaser warnt zugleich davor, KI als Überwachungsinstrument zu nutzen, das Arbeit rein technisch beurteilt. Sie plädiert dafür, dass digitale Systeme Führung eher entlasten sollen, damit soziale Kompetenzen mehr Raum erhalten.
Arbeitsorte neu definiert
Erst danach stellt sich die Frage, wo Arbeit überhaupt stattfindet. Laut dem Beratungsunternehmen Teamgnesda könnte der klassische Schreibtisch in absehbarer Zeit verschwinden. Interaktive Wände, Spracheingabe und mobile Geräte würden stationäre Arbeitsplätze überflüssig machen. Künftige Räume könnten eher an offene Aufenthaltsbereiche erinnern als an heutige Büros.
Zinke weist darauf hin, dass bei steigender Sprachsteuerung auch abgeschirmte Bereiche nötig seien, um konzentriert sprechen zu können. Gleichzeitig dürfe laut ihr die „soziale Dichte“ nicht verloren gehen, da spontane Begegnungen für Kreativität entscheidend seien.
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Zeit und Qualität
Im Gespräch mit dem Standard betont die 19-Jährige Carina, der ein Berufseinstieg bevorsteht, sie wolle nicht in starre Tagesabläufe gezwängt werden: „Ich will nicht immer um acht Uhr das Haus verlassen und um 18 Uhr nach Hause kommen.“
Dieser Wunsch spiegele eine breitere Entwicklung wider, wonach orts- und zeitflexibles Arbeiten für viele junge Beschäftigte Voraussetzung geworden sei.
Glaser sagt, die Diskussion solle sich stärker mit der Qualität von Arbeit befassen. Wenn KI Routineprozesse übernehme, müsse geklärt werden, wie sich freiwerdende Zeit nutzen lasse – für Familie, gesellschaftliches Engagement oder Weiterbildung.
Technik als Taktgeber
Geschäftsführer und Gründer des Beratungsunternehmens Superintelligenz Gernot Winter erklärt, einige Unternehmen arbeiteten bereits mit deutlich kleineren Teams, da KI Produktions- und Wissensprozesse beschleunige. Damit diese Systeme verlässlich blieben, brauche es spezialisierte Rollen, die Nutzung, Lizenzen und Qualität überwachen.
Winter mahnt, Europa müsse klären, wie es mit Menschen umgeht, deren Tätigkeiten automatisiert werden. Ohne politische Antworten drohe ein Abfluss von Wertschöpfung zu großen Tech-Unternehmen.
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Bedeutung des Miteinanders
Trotz Automatisierung bleibe der menschliche Austausch unverzichtbar. Winter betont, dass kreative Ideen vor allem entstehen, wenn Menschen sich persönlich begegnen. Für Carina scheint dies ebenfalls zentral: „Man verbringt so viel Zeit mit Arbeit. Dann sollte man doch wenigstens gerne hingehen.“
Wie sehr Maschinen Teil dieses Alltags werden, ist offen – sicher ist nur, dass Teams vielfältiger und ihre Rollen neu austariert sein werden.
Quelle: Der Standard