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Europas Stärke unterschätzt

Europas Stärke unterschätzt

Während Europa über Abschreckung, Aufrüstung und Abhängigkeiten streitet, verschiebt sich der Fokus leise in eine Richtung, die lange als Randzone galt: der hohe Norden.

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In einem Interview mit t-online erklärt die Politologin und Zukunftsforscherin Florence Gaub, warum dieser Perspektivwechsel politisch entscheidend werden könnte.

Statt sich von Schreckensbildern treiben zu lassen, plädiert sie dafür, Machtfaktoren nüchtern zu ordnen und daraus Handlungsoptionen abzuleiten.

Der neue Schauplatz

Gaub beschreibt gegenüber t-online die Arktis als einen Raum, in dem Klimawandel und Geopolitik zusammenfallen. Was in der öffentlichen Wahrnehmung oft bei Umweltthemen beginne, habe inzwischen eine militärische Dimension angenommen.

Der Grund liege in Routen und Reichweiten: Wenn Eis verschwindet, werden Wege kürzer, Lieferketten anders planbar und maritime Präsenz wichtiger. Laut Gaub wächst damit der strategische Wert der Region.

In dem Interview deutet sie an, dass westliche Staaten diese Entwicklung ernster nehmen müssen, weil Russland dort nicht nur beobachtet, sondern kalkuliert.

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Handelsmacht statt Landkarte

Einen Kernpunkt ihrer Analyse formuliert Gaub als Prioritätenfrage: Nicht jede aggressive Handlung Russlands lasse sich am besten über Eroberung erklären.

Sie sagte t-online, entscheidend sei Moskaus Anspruch, wieder als Weltmacht zu gelten. Dafür brauche es wirtschaftliche Schlagkraft und Zugang zu Seewegen, also Einfluss auf Meere und Handelsräume.

Aus dieser Argumentation folgert Gaub, dass maritime Räume an Bedeutung gewinnen. Entscheidend sei nicht die Annexion von Territorien, sondern wirtschaftliche Stärke durch Handel und den Zugang zu Seewegen.

Denken ohne Gewissheit

Gaub betont im Interview, dass Zukunft nicht berechnet werden könne. Ihre Arbeit bestehe darin, mögliche Verläufe zu prüfen, damit politische Akteure nicht erst reagieren, wenn Optionen bereits verbaut sind.

Als Forschungsleiterin an der Militärakademie Nato Defense College in Rom ordnet sie dieses Denken dem Zweck der Abschreckung unter. Im Kern gehe es darum, Risiken früh zu erkennen und den Preis eines Angriffs zu erhöhen.

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Zugleich verweist sie auf Grenzen: Russland schotte sich ab, Informationen seien schwerer zugänglich, Entscheidungszirkel klein. Das zwinge zu Szenarien, nicht zu Gewissheiten.

Wenn Angst regiert

Ein weiterer Punkt, den Gaub gegenüber t-online anspricht, betrifft die Stimmungslage in Europa. Angst werde leicht mit Wahrscheinlichkeit verwechselt und könne Debatten verengen.

Als Beispiel nennt sie die Reaktionen auf die neue US-Sicherheitsstrategie. Dort stehe, dass die USA keinen Krieg zwischen Russland und Europa zulassen wollten. „Eine krassere Aussage gibt es doch nicht!“, sagt Gaub.

Ihre Folgerung ist politisch: Wer Europas Möglichkeiten kleinredet, unterschätzt zugleich, warum Russland Druck ausübt. Laut Gaub ist es gerade das Potenzial Europas, das in Moskau als Bedrohung gelesen werde.

Quelle: t-online

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